Stehende männliche "malagan"-Figur · Papua-Neuguinea - Bismarck Archipel - Neu Irland · ID: 3039995
Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum, Ident.Nr. VI 34436 (1910)
Arthur Speyer II., Berlin, Germany (1939)
Ernst Heinrich, Stuttgart, Germany
Ralf Lüders, Stuttgart, Germany
Southern German Collection
Beschreibung
Holz (“Alstonia scholaris”), Muscheleinlage (“Turbo Phetolatus opercula”), Kalk, roter Ocker, schwarzes Pigment, Frisur aus bürstenartig kurz geschorenen Pflanzenfaserbüscheln, die in schwarze Masse eingedrückt wurden, typisches Beiwerk: schlanke vertikale Streben, vorne in der Mitte mit Vogelkopf, an den Seiten mit Schlangenköpfen, vor dem Körper einen Gegenstand haltend (möglicherweise Bambusflöte “katoviso”), in den traditionellen Farben bemalt in Weiß, Rot und Schwarz, ein “kapkap” vorne auf der Brust, Fortsatz zum Einstecken der Figur, ebenda beschriftet: “VI 34436” und altes Etikett; “Neu Mecklenburg Slg. Heinrich”, fragmentarisch, diverse Fehlstellen und Restaurierungen, Risse, Farbabrieb, Haare stellenweise ausgefallen;
Der Begriff “malagan” bezeichnet sowohl ein komplexes System von Zeremonien als auch die visuellen Kunstformen, die damit in Verbindung stehen. Es werden drei Grundarten von “malagan”-Schnitzereien unterschieden: horizontale Friese, vollrunde Figuren und säulenförmige Schnitzwerke mit übereinandergestellten Figuren. Ihr ganzes Leben lang versuchen die Bewohner Neu Irlands Rechte auf “malagan”-Abbilder und die damit verbundene Abhaltung von Riten zu erwerben. Besonders Männer treten in eine Art Wettstreit, um die größtmögliche Anzahl an “malagan”-Abbildern zu erwerben, ein Besitz, der ihnen Ansehen und Status einbringt.
Die zahlreichsten und beeindruckendsten “malagan”-Schnitzereien werden jedoch für die Zurschaustellung bei der abschließenden Toten-Gedenkfeier eines Verstorbenen in Auftrag gegeben. Das Ziel dieser Zeremonie ist es, “den Tod zu vollenden”. Dies geschieht indem der Verstorbene und seine zu Lebzeiten erworbenen Verdienste noch einmal in Erinnerung gerufen und gewürdigt werden - und er anschließend dem Vergessen anheimgegeben wird. Dies macht es erforderlich, dass alle rechtlichen und persönlichen Angelegenheiten geregelt, dass sein Landbesitz übertragen und die Nachfolge seiner Position, die er innerhalb des Clans und der Gemeinschaft innehatte, geregelt sind. Auf einer mehr esoterischen Ebene beinhaltet der Prozess die Zurückgewinnung seiner Lebenskraft, die während des Festivals den “malagan”-Objekten innewohnt und am Ende der Zeremonie reaktiviert und auf die Teilnehmer übertragen werden soll.
Die große abschließende Toten-Gedenkfeier findet nach umfangreichen Vorbereitungen etliche Jahre nach Eintreten des Todes statt. Das Fest beinhaltet: die Errichtung eines “malagan”-Hauses als Präsentationsfläche für die hergestellten “malagan”-Objekte, das Auftreten maskierter Tänzer bei Dämmerung, die Präsentation von Muschelgeld, ein üppiges Mahl mit Taro, Schweinefleisch und Bananen, das Schlachten einer Vielzahl von Schweinen, die vor dem “malagan”- Haus in Reihen auf dem Boden ausgelegt werden, Reden von angesehenen Ältesten, männliche Tänzer mit “tatanua”-Masken und Federschmuck sowie Tanzgruppen von Frauen, die Blätter oder Tanzstäbe in Händen halten. Das ganze wird untermalt mit Gesängen und Trommelschlägen. Nach Beendigung des Festes, nachdem die “malagan”-Schnitzereien ihren Zweck erfüllt haben, werden sie zerstört oder man lässt sie verrotten.
Vorliegende “malagan”-Figur wurde im Rahmen der Deutschen Marine Expedition von 1907-1909 von dem Berliner Ethnologen Edgar Walden vor Ort gesammelt und gelangte auf diesem Wege in die Bestände des Ethnologischen Museums zu Berlin (1910). Im Jahre 1939 wechselte das Stück in einer spektakulären Tauschaktion zwischen dem Museum und dem Händler Arthur Speyer II seinen Besitzer. Speyer erhielt im Tausch gegen einen aus dem Linden-Museum in Stuttgart erworbenen “Sonnen-malagan” Gegenstände im Wert von 7000 Reichsmark. Um welche Stücke es sich dabei genau handelte, wurde nicht festgehalten. Aus dem Bestandskatalog konnte jedoch rekonstruiert werden, welche heute nicht mehr in der Sammlung befindlichen Objekte es vermutlich waren. Auf dieser Liste ist vorliegender “malagan” unter der Inventarnummer “VI 34436” aufgeführt (vgl. M. Schindlbeck, p. 264).
Arthur Max Heinrich Speyer II (1894-1958) kam durch die Tätigkeit seines Vaters schon als Kind in Kontakt mit ethnografischen Objekten aller Art. Als junger Mann spezialisierte er sich auf die Ausstattung von Firmen-Ausstellungen und Filmen mit ethnographischen Gegenständen. Daneben erwarb er privat eine umfangreiche Sammlung, die Objekte von nordamerikanischen Indianern, Präkolumbien, Kamerun, vor allem aber aus Papua Neuguinea umfasste und die alle in den Wohnräumen der Familie aufbewahrt wurden. Besondere Stücke soll er in einer Art “Dunkelkammer” eingelagert und sie nur ausgewählten Gästen gezeigt haben. Es ist besonders hervorzuheben, dass weder Arthur Speyer II, noch sein Vater jemals selbst vor Ort Gegenstände sammelten. Hingegen nutzte Arthur Speyer die Gunst der Stunde und begann wie sein Vater Gegenstände mit Museen zu tauschen. Als weitere Quellen für seine Sammlung werden Kolonialoffiziere und Verwaltungsbeamte der ehemaligen deutschen Kolonien, alte Adelssitze und Schlossammlungen angeführt. Während des Zweiten Weltkrieges blieb die Sammlung Speyer wie durch ein Wunder von Bomben und Plünderung weitgehend verschont: “Das Haus wurde von sibirischen Truppen besetzt. Als die Soldaten gewaltsam den Keller öffneten, stießen sie auf Sepik-Schädel, die auf dem Tisch lagen. Zutiefst erschrocken flohen die Soldaten und die Objekte wurden verschont.” Für die Güte von Speyers Sammlung spricht, dass ihm das Museum für Völkerkunde Berlin die Evakuierung seiner Sammlung anboten hatte. Nach dem Tode Speyers sollen einige Objekte an deutsche Museen zurückgegangen sein. Der größte Teil (259 Gegenstände) ging jedoch auf Betreiben von Ted J. Brasser, der ehemals am Museum für Völkerkunde in Leiden gearbeitete hatte und die Sammlung kannte, an das National Museum of Man in Ottawa (heute Canadian Museum of Civilization in Hull) in Kanada.
Der Berliner Ethnologe Edgar Walden fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg 1914-18. Er kam nicht mehr dazu seine akribischen, im Rahmen der Deutschen Marine Expedition von 1907-09 gemachten Aufzeichnungen selbst zu veröffentlichen oder sie dem Leiter der Expedition Augustin Krämer für seine Publikation “Die Málanggane von Tombára” zur Verfügung zu stellen. Hans Nevermann erachtete Waldens Aufzeichnungen jedoch für so wichtig, dass er alle Notizzettel, Sprachaufnahmen und Fotos ordnete und unter dem Titel “Totenfeiern und Malagane von Nord-Neumecklenburg” 1940 in der Zeitschrift für Ethnologie veröffentlichte.
Vergleichsliteratur
Schindlbeck, Markus, Gefunden und Verloren, Berlin 2012, p. 264 Walden, Edgar & Hans Nevermann, Totenfeiern und Malagane von Nord-Neumecklenburg, In: Zeitschrift für Ethnologie (72), 1940, H. 1/3, p. 11-38