Zwischen Tradition und künstlerischer Freiheit
Wie Künstler Tradition bewahren und Kreativität entfalten

Auktion in Würzburg:
Samstag, 16. November 2024 – 14 Uhr
Vorbesichtigung:
13. bis 15. November - von 10 bis 17 Uhr
und nach Vereinbarung
In vielen Kulturen sind Künstler in tief verwurzelten Traditionen verankert, während sie zugleich Wege finden, ihre persönliche künstlerische Handschrift zu entwickeln. Diese Wechselbeziehung bringt Kunstwerke hervor, die sowohl die kulturellen Werte einer Gemeinschaft spiegeln als auch die individuelle Schaffenskraft des Künstlers zum Ausdruck bringen.
Breitgefächert präsentiert sich die Auktionsofferte, mit einer spannenden Auswahl an Werken, in denen wir einen Bogen schlagen vom Realismus über den Idealismus zur Abstraktion. Werke, die stilistisch dem traditionellen Kanon verpflichtet bleiben, sich aber gleichzeitig durch eine geradezu erfrischend-faszinierende künstlerische Eigenständigkeit auszeichnen.
Diese Kunst zu bewahren, den Wert kulturellen Gutes in die Gesellschaft zu tragen, dafür stehen Sammler, wie Erwin Melchardt und Bruno Heimberg. Die Werke ihrer großartigen Kunstsammlungen werden nun versteigert.
Die Wiener Privatsammlung Erwin & Susanne Melchardt
Erwin Melchardt ist eine Institution, wie es so schön gängig heißt. In Wien kennt ihn wohl jeder, in Österreich sehr viele. Er ist einer der bekanntesten Kunstkritiker der Republik und jahrzehntelanger Kulturredakteur der „Kronen Zeitung“. Sein Markenzeichen: Kunst und Kultur – verständlich erklärt. Für seine journalistischen Leistungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, 1988 den Österreichischen Staatspreis für Wissenschaftspublizistik, und zuletzt 2011 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien unter anderem für sein „Wirken als Volksbildner“.
Seine Beliebtheit und Bekanntheit sind eng verbunden mit der „Kronen Zeitung“. Ihr Herausgeber, Hans Dichand, selbst Kunstsammler, wollte Kunst und Kultur zum festen Bestandteil von Österreichs großer Tageszeitung machen – intellektuell, aber ohne zu verkopft zu sein. Melchardt – seine akademische Bildung und Fähigkeit, komplexe, nicht leicht erschließbare Themen verständlich zu vermitteln – war dafür genau der Richtige. 1971 holte Dichand ihn von der Tageszeitung „Express“, wo er seit 1964 als Karikaturist und ab 1968 als Kunstkritiker tätig war.
Fast 40 Jahre dauert seine „Kronen“ Zeit, und auch danach bleibt der unermüdliche Ruheständler gefragter Akteur. Als Universitätslektor hält er weiterhin Vorlesungen zur Außereuropäischen Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Er arbeitet als gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger für eben diese Sparte, und bleibt Präsident des „Verein der Freunde der Völkerkunde“.
Mit all seinen Erfahrungen als Kenner und Sammler außereuropäischer Kunst, kann ihn das Dorotheum 2010 für den Aufbau der Sparte „Stammeskunst / Tribal Art“ gewinnen. Mit der Leopold Sammlung legt er denn auch einen vielbeachteten Start hin. „Ich wollte zeigen, dass man in Wien erfolgreich Tribal Art-Auktionen auf die Beine stellen kann, und das ist gelungen“, so Melchardt 2016 in einem Interview mit Ingo Barlovic auf der Online Plattform „About Africa“ [1]. Zu Recht, wie es die Folgejahre zeigen sollten.
Was Erwin Melchardt, Jahrgang 1944, als Sammler und akkreditierten Experten für außereuropäische Kunst auszeichnet, ist sein gesamtheitlicher, subtiler Zugang zu Kulturkreisen und ihren Errungenschaften. Grundlage all dessen: Studium der Architektur, Staatswissenschaften und Völkerkunde, Forschungsaufenthalte in Südamerika und Afrika, Reisen und Reportagen für die „Kronen Zeitung“ aus den Katastrophen- und Kriegsgebieten im Iran, Irak, Äthiopien, Sudan, Somalia, Bangladesch und Afghanistan. Und schon als Student der Ethnologie hatte er begonnen zu sammeln.
Rund 4000 Objekte – von ihm gezählt – „weil diese Frage so nervte“, wie er 2010 dem „Standard“ verriet – umfasst da seine Sammlung, aus der wir ausgewählte Arbeiten präsentieren dürfen; darunter Werke aus der Privatsammlung Rudolf Leopold (1925-2010).
Österreichs wohl prominentester Kunstsammler für Werke von Schiele, Klimt, Kokoschka, Kubin, besaß – was damals nicht vielen bekannt war – eine ganz eigene Sammlung an Stammeskunst, die er seit den 1960er Jahren angelegt hatte. Werke, die von Erwin Melchardt für die Leopold Stiftung aufgearbeitet, katalogisiert und gemeinsam mit Ivan Ristic für die Ausstellung „Fremde Götter. Faszination Afrika und Ozeanien“ kuratiert wurden – eine Retrospektive der Stammeskunst und ihrer Einflüsse auf die Avantgarde (23. September 2016 - 9. Januar 2017).
Drei Kongo-Arbeiten der vorliegenden Offerte gehörten dazu, darunter eine noch ursprüngliche ‚nkisi‘ Zauberfigur der Songe mit schwarzer, stellenweise stark schwitzender Opferpatina und stark verkrusteten Partien (Los 390). Die magische Ladung im Bauch ist noch erhalten wie auch die Paraphernalien, mit denen sie einst rituell bestückt wurde.
Erwin Melchardt kann auf ein erfülltes, ganz der Kunst und Kultur gewidmetes Leben zurückblicken: als Publizist und Mittler, als hoch geschätzter Berater und Gesprächspartner, als Ethnologe und Kunstsammler, immer in intensivem Austausch und Kontakt mit allen Akteuren. Der Facettenreichtum seiner Sammlung mit Werken von Asien, über Ozeanien, Australien, Afrika, Europa bis zu den Antiken Ägyptens mag nur ein Spiegel seines eminenten Interesses sein.
Die Auktion schließt mit einer Auswahl seiner großen Schmucksammlung – auch sie vielfältig und von hoher Strahlkraft (Lose 409 bis 482).
Seiner Sammlung afrikanischer und asiatischer Waffen widmet sich eine eigene Auktion im kommenden Frühjahr. Schon jetzt präsentieren wir eines der Glanzstücke: ein Prestigedolch mit feinst gearbeiteter Messerscheide (Los 405). Ein Werk der Ondonga in Namibia, die für ihre sehr seltenen und ausgesprochen schönen Messer berühmt sind.
- Papua-Neuguinea - Bismarck Archipel, Neu Britannien, Gazelle Halbinsel, Tolai
Filigraner Tanzstab "bair"
ProvenienzErwin & Susanne Melchardt, Vienna, Austria - Angola, Chokwe
Stabbekrönung mit vier Maskengesichtern
ProvenienzErwin & Susanne Melchardt, Vienna, Austria - D. R. Kongo, Songe
Zauberfigur "nkisi" / "nkishi"
ProvenienzRudolf Leopold, Vienna, Austria Erwin & Susanne Melchardt, Vienna, Austria
Objects from the Bruno Heimberg Collection, Munich (1933-2023)
Even at first glance, the collection immediately impresses: it is clear that someone with a highly trained eye for cultural heritage and artistic skill has acquired these works. The pieces are rooted in the traditional canon, but possess a refreshingly captivating quality, marked by their focus on finesse and delicacy.
Among the most notable examples are, to mention just a few, the widely published Djenne terracotta figure from Mali, the Lobi stool carved by Sikiré Kambiré (1896–1963), the traditional iron staffs (‚opa osanyin‘) of the Yoruba from Nigeria, and the Ewe colon figure from Togo, which was exhibited and published in 1983 (lots 9, 16, 28, 27).
The collection’s miniatures are equally striking in their artistic refinement. This includes a small, 8 cm tall Yaka figure, still retaining its magical charge, along with finely crafted gourds and cups from the Kuba, Suku / Yaka cultures.
Heimberg‘s expertise in art was no accident. Born in Switzerland, he initially completed a painting apprenticeship in his father‘s business, which he was expected to take over. Instead, he attended the Kunstgewerbeschule (School of arts and crafts) in Zurich, before deciding to pursue training as a painting conservator. From an early age, his ambition was to work at the Doerner Institute of the Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Bavarian State Painting Collections) in Munich, which he would eventually lead decades later, from 1991 to 2001.
As training at the Doerner Institute wasn’t availabl
Quellen:
u.a. Renate Poggendorf, Jan Schmidt und Florian Schwemer, Nachruf, hgg. v. Verband der Restauratoren (VDR) e.V., Bonn, https://www.restauratoren.de/nachruf-fuer-bruno-heimberg-1933-2023/
- Mali, Niger-Binnendelta, Djenne
Kniende Figur eines Buckligen
ProvenienzFred Jahn, Munich, Germany Bruno Heimberg (1933-2023), Munich, Germany - Europa-Antiken, Griechenland, Kykladen
Fragment eines weiblichen Kykladen-Idols
ProvenienzBruno Heimberg (1933-2023), Munich, Germany - Mexiko, Mittlere Golfküste, Veracruz
Steinkopf "hacha", späte Klassische Periode, ca. 600 bis 900 n. Chr.
ProvenienzKetterer, Munich, 25 June 1988, Lot 47 Bruno Heimberg (1933-2023), Munich, Germany
Ozeanien in der Sammlung Heinrich Hense (1888-1960er)
Heinrich Hense wurde 1888 in Altengeseke in Nordrhein-Westfalen geboren. Als gelernter Schlosser, war er von 1907 bis 1909 bei Heinrich Nordhaus, Fahrrad-, Nähmaschinen-, und Motorfahrzeug-Handlung in Münster, als Reparateur tätig. Anschließend trat er der Kaiserlichen Marine bei, wo er für längere Zeit in Ozeanien und der Südsee unterwegs war. Für die Jahre 1911 und 1912 ist dies belegt durch datierte Briefe mit dem Briefkopf der Reederei „Norddeutscher Lloyd“. Demnach war er 1911 mit dem Dampfer „Prinz Ludwig“ und 1912 mit dem Reichspostdampfer „Königin Luise“ auf Fahrt.
- Papua-Neuguinea - Bismarck Archipel - Neu Irland
Männliche "malagan" - Figur mit gekreuzten Armen
ProvenienzHeinrich Hense (1888 to mid-1960s), Altengeseke / Lippstadt, Germany (coll. in situ, before 1918) Family-owned since then Heinrich Hense was born in Altengeseke in North Rhine-Westphalia in 1888. Trained as a locksmith, he worked as a repairman for Heinrich Nordhaus, a bicycle, sewing machine and motor vehicle dealer in Münster, from 1907 to 1909. He then joined the Imperial Navy, where he travelled for long periods in Oceania and the South Seas. This is documented for the years 1911 and 1912 by dated letters on the letterhead of the shipping company “Norddeutscher Lloyd”. According to this, he travelled on the steamer “Prinz Ludwig” in 1911 and on the Reichspostdampfer “Königin Luise” in 1912. - Papua-Neuguinea - Bismarck Archipel - Neu Irland
Helmmaske "tatanua"
ProvenienzHeinrich Hense (1888 to mid-1960s), Altengeseke / Lippstadt, Germany (coll. in situ, before 1918) Family-owned since then Heinrich Hense was born in Altengeseke in North Rhine-Westphalia in 1888. Trained as a locksmith, he worked as a repairman for Heinrich Nordhaus, a bicycle, sewing machine and motor vehicle dealer in Münster, from 1907 to 1909. He then joined the Imperial Navy, where he travelled for long periods in Oceania and the South Seas. This is documented for the years 1911 and 1912 by dated letters on the letterhead of the shipping company “Norddeutscher Lloyd”. According to this, he travelled on the steamer “Prinz Ludwig” in 1911 and on the Reichspostdampfer “Königin Luise” in 1912.
Objekte aus der Sammlung Helmut Bruchner, München (1945-2023)
Die vorliegende Sammlungsofferte präsentiert 14 ausgewählte Arbeiten Afrikas und Ozeaniens, darunter ein farblich äußerst dekoratives Zwillingsvogelpaar der Baga in Guinea (Los 125). Dieses ästhetische und bezaubernd filigran gearbeitete Werk war bereits 1953 in der schwedischen „Negerkonst“-Ausstellung des Stockholmer Nationalmuseums zu sehen, und dort im gleichnamigen Katalog unter der Nummer 373 beschrieben.
Auf das Cover des Leipziger „Ostafrika“-Ausstellungskatalogs von 2004/2005 schaffte es die kunstvolle ‚lipiko‘ Helmmaske der Makonde mit ihren auffallend individualisierten Gesichtszügen (Los 136). Bruchner erwarb sie, 2009, in der viel beachteten Neumeister Auktion zur Sammlung des im August dieses Jahres verstorbenen Sammlers und Kunstexperten Dr. Karl-Ferdinand Schädler, erworben.
Mit ihr erwarb Bruchner ein weiteres kunstvolles Werk: eine 82 cm große, schwere Terrakotta-Grabskulptur der Dakakari in Nigeria (Los 129). In Gestalt eines Elefanten modelliert, heißt es über sie, dass sie nur auf Grabstätten anerkannter Persönlichkeiten aufgestellt wurden: Sei ein Verstorbener wohlhabend gewesen oder habe zu Lebzeiten Bedeutendes geleistet, würdigte ihn die Gemeinschaft auf diese besondere Weise, denn Elefanten-Skulpturen wie diese standen für höchste Anerkennung.
- Nigeria, Dakakari
Grabskulptur "Elefant"
ProvenienzKarl-Ferdinand Schädler, Munich, Germany Neumeister, Munich, “Sammlung / Collection Dr. Karl-Ferdinand Schaedler”, Part 2, 15 October 2009, Lot 1325 Helmut Bruchner, Munich, Germany - Burkina Faso, Bwa / Gurunsi (Winiama)
Brettmaske mit figuraler Bekrönung
ProvenienzFrench Private Collection Franz Müller-Steinfurth, Speyer, Germany Helmut Bruchner, Munich, Germany (2008) - Guinea, Baga
Zwillingsvögel mit kammartiger Bekrönung
ProvenienzEinar Lynge-Ahlberg (1913 -1980), Malmö, Sweden Karlsson & Wickman Gallery, Stockholm, Sweden Swedish Private Collection Zemanek-Münster, Würzburg, 5 November 2016, Lot 129 Helmut Bruchner, Munich, Germany
Präkolumbische Keramiken der Sammlung Klaus Kalz, Berlin (1935-2023), Teil 2
Die wachsende Wertschätzung für die Kunst alter Kulturen Amerikas blickt auf eine nunmehr 100jährge Geschichte zurück: 1923 präsentierte das British Museum in London erstmals Maya-Kunstwerke in einem eigenen Raum, das Denver Art Museum eröffnete 1925 eine eigene Abteilung für indigene Kunst; andere bekannte und angesehene Galerien und Museen folgten weltweit [1]. Heute zählen Ausstellungen zu den Kulturen Meso- und Südamerikas weltweit zu den Publikumsmagneten.
Dass die Herstellung von Keramiken als auch Textilien vor allem bei den Andenkulturen im Vordergrund stand, mag nicht zuletzt mit dem hohen Stellenwert des Totenkultes in Verbindung zu sehen sein, bei denen Gräber auf weiträumig verstreuten Friedhöfen und Nekropolen reich mit Grabbeigaben ausgestattet wurden.
Sehr symbolhaft, hochstilisiert und ausgesprochen farbenfroh zeigt sich die Malerei auf den Kunstwerken der Nazca. Beliebte Motive sind Tiere und Dämonen, besonders Affen, Raubkatzen und Vögel, die offenbar – je nach Gemüt – entweder Körner und Samen oder aber erbeutete Menschenköpfe in den Klauen tragen. Nur selten ist auf den dünnwandigen und technisch vollendeten Keramiken der Mensch zu sehen.
Die Sammlung Kalz gibt ein beeindruckendes Zeugnis von der Vielfalt und Qualität dieser Kunst. Es ist uns eine besondere Freude und Ehre, nun den zweiten Teil dieser exquisiten Sammlung einem kunstbegeisterten Publikum präsentieren zu dürfen. Archivalien, Erkenntnisse von Archäologen, Kunsthistorikern und Restauratoren sowie Provenienz-Recherchen und einige nicht näher verifizierbare TL Analysen flossen in die Beurteilung und Bewertung jedes einzelnen Stückes ein.
Mehr zu Klaus Kalz und seine Sammlung, nachzulesen im Auktionskatalog 102, 13. April 2024, oder unter https://issuu.com/zemanek/docs/tribalart102
[1] Präkolumbische Kunst - wikipedia.org.
- Peru, Nazca
Linsenförmiges Steigbügelgefäß, ca. 200 bis 400 n.Chr.
ProvenienzKetterer, Munich, 18 May 1984, Lot 137 Klaus Kalz, Berlin, Germany (1984) - Peru, Nazca
Bemalte Schale, ca. 200 bis 400 n.Chr.
ProvenienzBenno Mattel, Buenos Aires, Argentina Klaus Kalz, Berlin, Germany (1982) - Peru, Nazca
Anthropomorphes Gefäß, Early Intermediate Period, Middle Nazca, ca. 100 bis 300 n.Chr.
Provenienzpresumbly Benno Mattel, Buenos Aires, Argentina Galerie Gerdes, Munich, Germany Klaus Kalz, Berlin, Germany (1975/1976)